Donnerstag, 30. Dezember 2010

Unsinnige Lösung eines nicht vorhandenen Problems

Wir kennen ja alle die audiophile Lust, sich in ein vorgestelltes technisches Problem hinein zu steigern, und zu dessen Lösung dann nur noch völlig abstruse technische Maßnahmen zu akzeptieren, die ohne Rücksicht auf praktische Aspekte den Eindruck erweckt, das Problem kompromißlos aus der Welt zu schaffen.

Früher hatte man dafür die Class-A Verstärker. Das vorgebliche Problem sind die Übernahmeverzerrungen bei Class-B, und die kompromißlose Lösung ist der völlige Verzicht auf Class-B. Daß dabei ein Vielfaches an Stromverbrauch und Wärmeentwicklung heraus kommt, was letztlich auch wesentlich mehr kostet, macht gerade den Charme der Kompromißlosigkeit aus. Gerade weil die Lösung in Form von Class-A so unwirtschaftlich ist muß es die richtige Lösung sein, alles andere wäre für Warmduscher.

Ob das vorgestellte Problem tatsächlich vorhanden ist entzieht sich der Kenntnis des Audiophilen. Es ist auch gar nicht wichtig, denn ein eingebildetes Problem ist genauso gut wie ein reales, schließlich kommt es ganz auf die Empfindung an. Wer einmal bei seinem Verstärker weiß daß er im Class-B Betrieb arbeitet, der empfindet beim Gedanken an die Übernahmeverzerrungen einen gewissen Mangel an Feinzeichnung und eine eingeschränkte Räumlichkeit. Die üblichen Symptome eines vorgestellten Problems eben.

Seit es digitale Audiotechnik gibt, gibt es ganz neue Möglichkeiten für vorgestellte Probleme. Besonders verdienstvoll bei der Erzeugung audiophiler Problem-Wollust ist der Jitter. Über den habe ich hier schon Einiges geschrieben, ich will das hier nicht wiederholen. Mir geht's um eine ganz bestimmte "Lösung", die man seit 15 Jahren in der einen oder anderen Form versucht den Audiphilen als kompromißlose High-End-Technik zu verkaufen, obwohl sie genauso billig wie unsinnig ist.

Ich meine die diversen Varianten der sogenannten I²S-Schnittstelle zwischen einem CD-Laufwerk und einem meist darauf abgestimmten D/A-Wandler.

Der Ursprung der Überlegungen kommt daher, daß die SPDIF-Schnittstelle, die man eigentlich für so eine Verbindung erfunden hat, anfällig ist für ein Phänomen das man als datenabhängigen Jitter bezeichnen kann. Anfang der 90er-Jahre war das ein großes Thema, und es gab Leute die deswegen der SPDIF-Schnittstelle ein prinzipielles Problem unterstellt haben.

Datenabhängiger Jitter kommt davon daß man die Daten und den Abtasttakt bei der SPDIF-Schnittstelle in ein einziges Signal kombiniert, damit man es auch über eine einzige Leitung übertragen kann. Die Verkabelung wird dadurch genauso einfach wie die für Videosignale, und man hat mit Absicht auch den gleichen Kabeltyp gewählt wie für Video, nämlich 75 Ohm Koaxleitungen.

Wenn man die Taktinformation aus den gleichen Zustandsänderungen des Signals extrahiert wie die Daten, dann führen ungleiche Flankensteilheiten und wandernde Schaltschwellen in der Tat dazu daß die Daten auf den Takt einen Einfluß haben, daß also die Daten den Takt in einem gewissen Ausmaß modulieren. Das Resultat ist eben der datenabhängige Jitter. Das Phänomen als solches ist also real. Ein Problem ist es aber noch lange nicht.

Es ist aber Anlaß genug für audiophile Besorgnis, und es würde einem Audiophilen etwas lahm erscheinen wenn man nicht eine Lösung anstreben würde die das Problem mit Stumpf und Stiel ausrottet, koste es was es wolle. Auftritt: Die I²S-Schnittstelle.

Die I²S-Schnittstelle wurde in den 80er-Jahren von Philips erfunden um innerhalb eines Gerätes einen D/A-Wandler mit dem Chip zu verbinden, der in einem CD-Spieler die Digitaldaten verarbeitet. Da es um Verbindungen innerhalb eines Gerätes ging machte man keine Anstrengungen, Leitungen zu sparen. Takt und Daten wurden getrennt geführt, ja es gibt sogar zwei getrennte Takte, einen für die Samples und einen für die Bits innerhalb eines Samples. Oft kommt sogar noch ein dritter Takt für den Betrieb des D/A-Wandlers hinzu, wenn der aufgrund seiner Funktionsweise eine noch höhere Taktfrequenz braucht. Die Trennung zwischen Takt und Datenleitungen macht diese Schnittstelle aber unempfindlich gegenüber datenabhängigem Jitter, und das hat in der Folge der Diskussion in den 90ern um die SPDIF-Schnittstelle einige High-End-Firmen dazu gebracht, zu überlegen wie man diese I²S-Schnittstelle auch für die Verbindung zwischen zwei Geräten einsetzen könnte, speziell zwischen CD-Laufwerk und D/A-Wandler.

Die Diskussion darüber ist also inzwischen bald 20 Jahre alt, und die Versuche rund um die I²S-Schnittstelle dauern in der einen oder anderen Form bis heute an, bloß daß immer wieder neue Spielarten, Steckverbinder und Kabeltypen dafür benutzt werden. Noch in den 90ern gab es Versionen von Audio Alchemy mit einem DIN-Stecker, und von Ultra Analog mit einem speziellen Stecker der für Computerbildschirme gedacht war. Es gab bzw. gibt auch Varianten mit mehreren getrennten BNC-Leitungen, und in jüngerer Zeit mit CAT-5 Kabeln und RJ45-Steckern (das Zeug was man von Computernetzwerken kennt), oder mit HDMI-Kabeln.

In allen diesen Fällen wird bloß das Steckerformat und der Kabeltyp zweckentfremdet, irgendeine Kompatibilität zu anderen Verbindungen besteht nicht. Es ist also schon deswegen eine blödsinnige Idee weil keine Einigkeit bezüglich der Steckverbindungen besteht, aber das kann man ja noch als von den Herstellern erwünscht verstehen, schließlich kann man dadurch Kunden an sich binden die auf den Trick hereingefallen sind. Es gibt aber noch eine Reihe von weiteren Argumenten warum es eine schwachsinnige Idee ist, bloß scheint sich das auch nach mehr als einem Dutzend Jahren noch nicht ganz herumgesprochen zu haben, denn die Technik ist noch immer nicht ausgestorben.
  1. Das Problem des datenabhängigen Jitters kann man auch einfacher lösen, ohne die SPDIF-Schnittstelle aufzugeben. Das Problem resultiert daraus daß Takt und Daten gleichzeitig in das Signal moduliert werden. Wenn man es zeitlich trennt kann man eine einzige Leitung beibehalten und trotzdem das Problem vermeiden. Wenn man sich das SPDIF-Datenformat genauer ansieht stellt man fest daß das bereits der Fall ist. Die Taktinformation, genauer der Wordclock, steckt in den sogenannten Präambeln, und die sind unabhängig von den Daten immer gleich. Neuere SPDIF-Empfänger rekonstruieren den Takt daher bloß aus den Präambeln, und ignorieren die Daten bei der Taktrekonstruktion. Der riesengroße Vorteil liegt darin daß nur der Empfänger geändert werden muß, das Datenformat selbst und damit der Sender ist bereits passend. An der SPDIF-Definition muß kein Jota geändert werden. SPDIF-Empfänger-Chips berücksichtigen das seit mindestens zehn Jahren, eigentlich müßte sich das Problem damit erledigt haben.

    Interessanterweise ist das die gleiche Situation wie bei den TV-Signalen. Dort werden auch Taktinformation und Daten über das gleiche Signal übertragen, und zwar schon seit Jahrzehnten vor der digitalen Audiotechnik. Der Takt ist für die Bildsynchronisation da, und die Daten für den Bildinhalt. Würde es zu Jitter kommen dann würde das Bild verwaschen werden oder in seiner Position vibrieren. Man mußte also schon damals eine Lösung dafür finden, und man hat genau das Gleiche gemacht: Man hat den Dateninhalt und die Synchronisationsinformation im Signal zeitlich getrennt; sie wechseln sich auf der Leitung ab. So kann das Eine das Andere nicht über Gebühr beeinflussen. Es ist nicht 100%ig, aber nichts ist 100%ig.

  2. Es gibt keinen guten Grund warum bei einer Verbindung von CD-Laufwerk und D/A-Wandler der Takt in die gleiche Richtung gehen müßte wie die Daten. Die bessere Lösung ist ohnehin wenn der Takterzeuger beim D/A-Wandler sitzt, und das Laufwerk darauf synchronisiert wird. In so einer Anordnung ist der Jitter auf dem Übertragungsweg praktisch egal; der Wandlertakt ist von dem Übertragungsweg unabhängig, schließlich wird er lokal erzeugt. Was man dafür braucht ist ein fremdsynchronisierbares CD-Laufwerk, also eines das einen Wordclock-Eingang hat. Der D/A-Wandler schickt dem Laufwerk seinen Wordclock, und das Laufwerk schickt dazu synchron seine Daten an den Wandler. Das sind zwar zwei getrennte Signale, aber man kann für die Datenverbindung beim SPDIF-Format bleiben, und damit kompatibel bleiben, und ein fremdsynchronisierbares CD-Laufwerk ist ein ohnehin wünschenswertes Feature, denn in größeren Anlagen (gerade auch im professionellen Bereich) sollten alle Geräte auf einen gemeinsamen Takt synchronisierbar sein.

    Beide Signale, der Wordclock und das SPDIF-Datensignal, sind quasi standardisiert, und man braucht keine neuen Schnittstellen zu erfinden. Zudem ist der Jitter in so einem Szenario nur noch ein lokales Problem innerhalb des D/A-Wandlers, und unterliegt keinem Einfluß aus dem SPDIF-Signal mehr. Das heißt daß diese Situation sogar noch besser ist (was den Jitter betrifft) als die I²S-Schnittstelle über welches Kabel auch immer.

  3. Man kann den Jitter auch durch eine zweistufige PLL eliminieren. Diese Technik ist mindestens ebenso alt wie das Problem selbst. Die SPDIF-Empfängechips haben eine eigene PLL mit dem sie den Takt aus dem Signal rekonstruieren, aber diese PLL ist für korrekte Datenextraktion optimiert und nicht unbedingt für jitterarmes Antreiben eines D/A-Wandlers. Um einen D/A-Wandler mit einem guten jitterarmen Takt zu versorgen kann es sein daß man eine weitere PLL braucht. Das war vielleicht mal eine konstruktive Herausforderung als die Sache neu war, aber inzwischen gibt's einfach einsetzbare Chips die dieses Problem für wenige Dollar erschlagen.

    Selbst ohne eine Wordclock-Leitung vom D/A-Wandler zum Laufwerk kann man das Jitterproblem also ohne große Probleme im Griff behalten, wenn man eine zweite PLL einsetzt.

  4. Eine weitere Alternative besteht in der Verwendung eines Abtastratenwandlers im D/A-Wandler. Dafür gibt's ebenfalls seit Jahren brauchbare Chips die ihrerseits den Jitter gut unterdrücken können. Statt einer zweiten PLL kann man auch auf diese Strategie setzen.

    Ein Abtastratenwandler im Laufwerk hat demgegenüber keinen Sinn, es sei denn er wäre fremdsynchronisierbar. Eine andere Abtastrate ändert am Jitter nämlich erstmal nichts.
Wenn es für den I²S-Trick überhaupt ein Argument gibt, dann ist es die konstruktive Einfachheit. Außer einem Leitungstreiber braucht man nämlich dafür gar nichts, man kann sogar auf die SPDIF-Sender und Empfänger verzichten. Es wäre damit eigentlich etwas für eine absolute Billiglösung bei der man den letzten Cent einsparen muß, außer daß heutzutage die Chips so billig sind daß man besser an den Steckern sparen kann als an der Elektronik. Stattdessen verkauft man das als eine High-End-Lösung, was recht eigentlich absurd ist.

Aber das ist High-End, nicht wahr: Wenn man die einfachste Lösung trotz ihrer Mängel als das Nonplusultra verkauft, das ein Problem löst welches gar nicht wirklich existiert, was aber trotzdem die Phantasie der Ahnungslosen beflügelt und ihre Geldbörsen öffnet.


Kommentare bitte im üblichen Thread.


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